"I am an educated person!" rief die junge Frau. Ob sie eine junge Frau oder noch ein Mädchen ist, fragte Ich mich. Ich konnte grob schätzen. dass sie kaum älter war als Ich und Ich betrachte mich selbst noch als Jugendliche.
"I am an educated person!" wiederholte sie, stampfte mit einem Fuß auf. Dass einer der beiden Bommel ihrer Strickmütze im Kragen ihres quer gestreiften Pullovers festhing, störte sie nicht, mich dafür umso mehr.
Es war Februar, die Luft war so kalt, dass sie einem die Finger abschneiden konnte, hätte man keine Handschuhe getragen und sie trug nur einen Pullover über einem T-Shirt und einem Tanktop, eine Cordhose, ausgelatschte Schuhe die bestimmt mal robust waren und eine Umhängetasche die ähnlich hässlich wie die Mütze auf ihrem Kopf war.
Wieder wurde die "junge Frau" laut, beschwerte sich, dass sie gestern noch in U-Haft saß wegen illegalen Drogenbesitzes, sie aber das Gras bräuchte, da ihr sonst der Kopf explodiere. "Only because I'm mentally ill! They think I'm crazy!" Die Dame an der Rezeption bemühte sich, ihr gut zuzureden, der Doktor würde sich so schnell es ginge mit ihr befassen. Vor mir in der Schlange standen noch gut 8 Leute, die Sitzplätze waren fast alle belegt im Wartebereich. Aus allen Ecken hörte man Geschniefe, Nasen die geputzt wurden und Husten. Grippezeit in England, vor allem beliebt bei Kindern, denen das Warten genauso gegen den Strich ging, wie mir. Ich jedoch konnte mich nicht lautstark beschweren oder meiner Mutter am Ärmel zupfen und mit zuckersüßer Stimme fragen, wie lange wir noch warten mussten und dann ein Bonbon aus der Folie wickeln und mich zurück an den Spieltisch setzen, um meine Grippebakterien mit den anderen Kindern wie Sticker tauschen. Ich stand nur da, in meinen Mantel gewickelt, die Tasche die meine Mutter mir genäht hatte an der Schulter, griff den Träger und wünschte mir nichts sehnlicher als in Deutschland bei meinem Hausarzt im angenehm beheizten Wartezimmer zu sitzen, gelangweilt durch die Magazine zu blättern und mit heiserer Stimme "guten Morgen" zu flüstern, sobald jemand das Wartezimmer betrat.

Eine weitere Rezeptionistin kam dazu, teilte der unruhigen jungen Dame mit, dass sie in Zimmer Vier auf den Arzt warten soll, er würde in wenigen Augenblicken bei ihr sein.
Mein erster Gedanke war "Vier!" In Japan gilt die Zahl vier als unheilbringend, so sind in vielen Hotels und Krankenhäusern keine Zimmer mit der Zahl Vier zu finden.
Irgendetwas vor sich hinmurmelnd schlurfte sie in Richtung der Behandlungszimmer.

Als Ich an die Reihe kam, wurde Ich vertröstet auf 16 Uhr. "Fünf Stunden?! Wollen Sie mich verarschen?!!Ich soll in fünf Stunden nochmal herkommen? Ich glaube es hackt!" hätte Ich am liebsten auf Deutsch gebrüllt, einen Tisch aus dem Wartebereich genommen und zerschmettert. Vielleicht sollte Ich auch einmal in Zimmer Vier vorbeischauen? Die Dame an der Rezeption entschuldigte sich mehrmals und sagte noch "You see, a lot of people are already waiting. That's quiet normal on a Friday".
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Auf dem Rückweg machte Ich einen kurzen Abstecher in einen Supermarkt um mich mit Knäckebrot einzudecken, das einzige was mein Körper noch annehmen wollte. Ich nahm einen der Einkaufskörbe vom Stapel, griff nach einer Flasche Wasser, die direkt am Eingang platziert sind und traute meinen Augen kaum. Wie hatte sie es geschafft vor mir hier zu sein?
Die braunen und grünen Streifen beugten sich in das Regal mit den zehn unterschiedlichen Sorten Toastbrot, der eine Bommel hing immer noch im Kragen fest "Really, I need to do some serious grocery today" sagte sie zu ihrem Begleiter.
An der Kasse standen sie hinter mir, neugierig warf Ich einen Blick auf ihren Einkauf: zwei Pakete Toastbrot, eine Packung Margarine, etwas Aufstrich, Käse in Scheiben, zwei Schachteln Zigaretten, eine Tüte Weingummi und eine Flasche Whiskey. Ihr Begleiter grinste triumphierend, er hatte nichts auf das Kassenfließband gelegt und wahrscheinlich nichtmal mit dem Gedanken gespielt ein paar Pfund aus seinem Portemonnaie dazuzusteuern.
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Gegen 16 Uhr saß Ich dann auf einem der unbequemen Stühle, mir war kalt und der Magen schmerzte. Ein brennendes Stechen direkt im Organ. Nach mehr als einer Stunde stand auf dem LED-Laufschrift-Gerät mein Name und daneben "Room 2". "Dann mal los" murmelte Ich zu mir selbst, die Frau mit den zwei kleinen Kindern, die einfach nur noch auf den Stühlen hingen wie ein paar Schlücke Wasser, schaute mich verwirrt an und schaute mir wahrscheinlich nach.
"Have you ever heard of that Noro-Virus?"
"Mhm..."
"Well, nearly everyone is infected with that"
"But... but I'm not having the typical symptoms, I do not have a fever and no diarrhoea and I didn't throw up"
"It comes in many forms and I'm sure that it is a Noro-Infection. I'll give you this prescription. It is for the acid in your stomach, it will neutralise it"
"Hmkay..."
Ich hatte schon oft gehört, dass man in England nicht so zimperlich mit Schmerzmitteln und Medikamenten auf Verschreibung umgeht. Da kann man im Supermarkt Aspirin-ähnlichen Mittelchen kaufen oder Paracetamol mit Koffein als Tablettchen. In der Drogerie bekommt man auch Paracetamol als 500mg Tabletten zu einem Spottpreis von 92 Pence.
So reichte Ich das Rezept der netten Dame in der Apotheke, sie versicherte mir, dass Ich in einer Stunde wiederkommen könnte und sie wünschte mir gute Besserung. Eine ganze Stunde schlenderte Ich also durch die Kälte, wärmte mich in verschiedenen Geschäften, ging dann zurück zur Apotheke und eine andere freundliche Apothekerin gestand dann, dass das Medikament leider nicht da wäre. Wie ein Auto schaute Ich sie an. "Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?!", hätte Ich am liebsten empört gerufen, stattdessen nickte Ich nur und verließ mit einem leisen "Bye" die Apotheke. In der Drogerie bekam Ich das Medikament innerhalb von wenigen Minuten in die Hand gedrückt von einem dicken Mann ohne Haare auf dem Kopf, dafür mit umso mehr im Gesicht.

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